Fasching 2015 betreibe ich vergnügliche Brauchtums-Studien im Werdenfelsener Land. Das "Grungln" spielt sich wetterbedingt eher in den Häusern ab: Maskierte, die "Maschkeras", ziehen an bestimmten Tagen musizierend und Schabernack treibend von Haus zu Haus - früher von Hof zu Hof, heute eher durch die Wirtshäuser. Das ist gut zu wissen, denn es kann vorkommen, dass kein Maskierter weit und breit zu sehen ist. Schaut man aber in die richtigen Wirtschaften, geht es dort heiß her.
Im Süden des Werdenfelser Landes, in Mittenwald, findet der Fasnachts-Höhepunkt am "Unsinnigen Donnerstag" statt. An diesem Tag stolzieren und tanzen ab dem Zwölfuhrläuten skurrile Gestalten durch die Ortschaft. Neben den Schellenrührern, die mit rythmischem Hopsen die Ochsenschellen an ihren Rücken zum Klingen bringen, gibt es vielerlei Figuren wie den Bärentreiber mit einem zähnefletschenden Bären an der Leine, bunte "Fleckler", die Peitschen knallen oder auch ("A Schnäpsle, dann zeichnet sich's noch besser") für Aufwärmung sorgen, die "Jacklschutzer", die mit einer Heuplane die Jackl-Puppe in die Höhe werfen oder die "Untersberger Mandl", Spottfiguren auf die kleinwüchsigen Bergleute.
Das Eigenartigste aber sind die "Muiradl" (Mühlräder): Sechzehn weiß gekleidete Männer mit buntem Pferdefliegenschutz als Gesichtsvermummung ziehen in rasantem Tempo einen Baumstamm durch die Straßen. Dadurch drehen sich zwei am Stamm befestigte Wagenräder, auf denen jeweils ein Pärchen Maschkeras sitzt. Sie müssen sich mit großer Kraft festhalten, um nicht davongeschleudert zu werden. Tatsächlich drängt sich irgendwann ein Krankenwagen durch das Treiben, und später steht da ein rauchender Bursche mit Rock und blutigem Arm. Hoffentlich hat sich sein Gegenstück beim rauhen Spaß nicht schlimmer verletzt! Dasgleiche gibt es auch in kleiner: mit fröhlich-lauten Kindergruppen, dort allerdings nur mit Puppen auf den Rädern.
Um zu verschleiern, wer sich dahinter verbirgt, vertauschen die Burschen ihre Holzlarven untereinander und verstellen ihre Stimmen zu einem heiseren Krächzen. Erkennen lässt sich aber, aus welcher Ortschaft der Maschkera kommt: Die Mittenwalder Larven sind grimmig-starr und haben weit aufgerissenen Augen. Die Murnauer Masken dagegen sind individueller, oft mit lachenden Gesichtern.
Es ist reizvoll und schwierig, die umtriebigen Gestalten mit dem Zeichenstift einzufangen, dabei den teuflischen Goaßbock im Auge zu behalten, der sich immer wieder Opfer unter den Zuschauern ausguckt, und den Wasserspritzern auszuweichen, damit das Skizzenbuch nicht ungewollt aqua-relliert wird.
Man müsste meinen, an solchen Tagen nicht sonderlich aufzufallen. Die Figur des Urban Sketchers scheint im Werdenfelser Land jedoch unbekannt zu sein. Eine Verkleidung als Geheimagent wäre vielleicht hilfreich gewesen. Immer wieder bauen sich Neugierige vor mir auf, ich muss obacht geben, nicht versehentlich in die eine oder andere Nase zu pieksen, die plötzlich in meinem Skizzenbuch steckt, und von hinten wispert es "Was schreibt die da dauernd...?"
Drei Tage später fahre ich an einem eisigen Sonntag nach Murnau. Dort marschiert ein kleiner dekorativer Zug einmal die Altstadt hinauf und wieder hinab. Neben den mir schon bekannten gibt es auch neue Figuren zu sehen wie den Brezen-Angler oder würdevolle Gestalten mit ornamentalen Masken. Nach einem gefühlten viertel Stündchen verschwindet der gesamte Zug in einer Gastwirtschaft und lässt ratlose Passanten zurück ("War's das schon?"). Einige - mich eingeschlossen - würden gerne mit hinein in die Wirtsstube, aber die ist nun brechend voll. Nicht einmal stehend ist ein Eck zu finden wegen der Musikistrumente und der sperrigen Kostüme. Während drinnen die Musik angestimmt wird, bleibe ich noch vor einem kleinen Schaukasten mit Murnauer Holzlarven stehen, bis meine steifgefrorenen Finger und Füße nach hause wollen.